17. 5.

"Gruppenklausur"

A) Vergleichen Sie die zeitlichen und politischen Kontexte, in denen Böhmen einerseits und Ungarn und Polen andererseits zu Königtümern erhoben wurden.

  • Erstes Bistum von Böhmen: 973 in Prag gegründet
  • Polen immer unabhängige Tendenzen
  • polit. Kontext: während der Herrschaft der Přemysliden (Böhmen -1306), Piasten (Polen -1370), Arpaden (Ungarn -1301)
  • zeitl. Kontext: 9./10. Jh. - 14. Jh.
  • alle 3 Königtümer gehörten der röm. lateinischen Kirche an
  • um 1000: Böhmen Teil des Heiligen römischen Reiches (Polen, Ungarn kein Bestandteil davon)

Zuerst möchte ich anmerken, dass dies eine sehr schwierige Frage ist. Deswegen wäre es von Vorteil, zuerst bei den ganz groben Umrissen anzufangen: Zeitangaben, herrschende Dynastien usw., nicht bei den ganz konkreten Sachen wie die erste Zeile oder bei den problematischen Behauptungen wie die zweite. Die Reihenfolge könnte z. B. so aussehen:

  • zeitl. Kontext: 9./10. Jh. - 14. Jh. (eigentlich 13. Jh.!)
  • polit. Kontext: während der Herrschaft der Přemysliden (Böhmen -1306), Piasten (Polen -1370), Arpaden (Ungarn -1301)
  • um 1000: Böhmen Teil des Heiligen römischen Reiches (Polen, Ungarn kein Bestandteil davon)
  • alle 3 Königtümer gehörten der röm. lateinischen Kirche an
  • Erstes Bistum von Böhmen: 973 in Prag gegründet
  • Polen immer unabhängige Tendenzen
Dadurch wird schon ein klareres Bild geschaffen, eine andere Bedeutung hat es nicht, ich werde natürlich keine Punkte abziehen oder verteilen aufgrund der Reihenfolge der Informationen :-)
 
Jetzt einige Präzisierungen:
 
  • zeitl. Kontext: 9./10. Jh. - 14. Jh. - hier würde ich die Zeitangaben den jeweiligen Territorien zuordnen (Polen, Ungarn - 9./10. Jh.; Böhmen - 13./14. Jh.)
  • polit. Kontext: während der Herrschaft der Přemysliden (Böhmen -1306), Piasten (Polen -1370), Arpaden (Ungarn -1301) - dies ist ganz in Ordnung und die Jahreszahlen sind alle korrekt, dafür könnte ich einen Bonuspunkt geben
  • um 1000: Böhmen Teil des Heiligen römischen Reiches (Polen, Ungarn kein Bestandteil davon) - ja, aber ist dies eine Voraussetzung oder schon die Folge der zu besprechenden Tatsachen? hier sollte noch etwas folgen, was die Zusammenhänge beleuchtet
  • alle 3 Königtümer gehörten der röm. lateinischen Kirche an - wie bei der vorigen Zeile - wo ist der Zusammenhang?
  • Erstes Bistum von Böhmen: 973 in Prag gegründet - stimmt; um der Vollständigkeit willen könnten Sie auch anführen, dass die ersten ERZbistümer in Ungarn und Polen gleich danach entstanden sind: um 1000; und vor allem: wie hängt diese Information mit der Erhebung Böhmens zum Königreich zusammen?
  • Polen immer unabhängige Tendenzen - dies verstehe ich nicht, aber die Aussage weckt mein Interesse - worin zeigte sich diese Tendenz? was meinen Sie KONKRET?

Ich meinerseits würde hinzufügen:

Die Entwicklung der Herrschaft und der kirchlichen Organisation hingen eng zusammen, aber gleichzeitig sind es zwei getrennte Probleme. Daher haben wir mit a) dem Weg Böhmens, Polens und Ungarns zum Rang eines Königreichs und b) dem Prozess der Herausbildung einer kirchlichen Autonomie in den jeweiligen Ländern zu tun.

a) Dies haben wir genügend besprochen: Ottokar I., Goldene Sizilianische Bulle, Friedrich II., erblicher Königstitel usw. Diesen Prozess hätten Sie schildern können, das wären ein paar Punkte.

b) Böhmen hatte im 10. Jh. "Glück", dass der (spätere heilige) Wolfgang zum Bischof in Regensburg wurde und gute Beziehungen zu Böhmen hatte. Dank dieses Umstands ist es gelungen, ein Bistum in Böhmen (Prag) zu schaffen und somit Böhmen von der Abhängigkeit von einem ausländischen Bistum zu befreien. Polen und Ungarn wurden ca. ein Vierteljahrhundert später, d. h. um 1000, Objekte des Interesses des jungen römisch-deutschen Kaisers Otto III., der etwas wie eine geistige Vereinigung Mitteleuropas (unter der Ägide des Kaisers, also sich selbst) angestrebt hat. So haben sowohl Polen als auch Ungarn den Königstitel bekommen (da sind wir zurück bei Punkt a) und in beiden Ländern wurde je ein Erzbistum errichtet mit dazugehörenden Bistümern.

Bewertung:

  • Der zeitliche und politische Kontext wird zwar angedeutet, aber nicht (für Polen/Ungarn und Böhmen) VERGLICHEN. Höchstens 1,5 Punkte für die allgemeinen Angaben.
  • "um 1000: Böhmen Teil des Heiligen römischen Reiches" - ein Punkt dafür
  • Ein Bonuspunkt für die Jahre, wo die alten Dynastien ausgestorben sind

3,5 Punkte


B) Erklären Sie die sog. Kolonisierung der Böhmischen Länder im 13. Jh. Beachten Sie dabei auch die Versuche seitens der nationalistisch geprägten tschechischen und deutschen Historiographie, das Thema Kolonisierung für aktuelle politische Ziele zu missbrauchen.

Im 13. Jahrhundert entwickelten sich viele Siedlungen und Städte im böhmischen Gebiet, die auch ihre Besiedlung durch Deutsche unterstützten. Die Städte wurden von König Přemysl Otakar II. anerkannt und nach deutschen Stadtrechten (Magdeburger Stadtrecht in den nördlichen Städten, schwäbisches Stadtrecht im Süden). Handwerk und Handel blühten auf und bis auf eine Periode nach den Hussitenkriegen gab es einen großen deutschen Bevölkerungsanteil.

(Der erste Satz ist ganz in Ordnung. Achtung: die Städte - und Dörfer und Klöster - wurden nicht nur durch den König ANERKANNT, sondern die Gründungen wurden von ihm und vom konkurrierenden Hochadel INITIIERT und es war nicht nur Premysl Otakar II./Ottokar II., es waren praktisch alle Könige des 13. Jh., d. h.:

  • Přemysl Otakar I.
  • Václav/Wenzel I.
  • Přemysl Otakar II.
  • Václav/Wenzel II.

Vor allem aber die zwei Ottokars und Wenzel I. Mit den Stadtrechten haben Sie vollkommen Recht und Sie wissen es nicht von mir, daher ein Bonuspunkt. Was mir fehlt, ist der "logistische" Aspekt der Kolonisierung: wie hat das eigentlich funktioniert? Das hätte ich an Ihrer Stelle ungefähr so zusammengefasst:

  • Dünne Besiedlung der Randgebiete (Berge, Wälder, kälteres Klima)
  • Erste Welle der Kolonisierung: vom Zentrum aus (Mittelböhmen, Mittel- und Südmähren - warme, fruchtbare Tiefebenen, alte Burganlagen, Siedlungen und Märkte) in Richtung Grenzgebirge
  • Zweite Welle: ausländische Bevölkerung eingeladen (v. a. Deutsche)
  • Neuer Ackerboden musste gewonnen werden: Wälder wurden gerodet
  • Neue Stadtgründungen: Planstädte auf regelmäßigem Grundriss (Schachbrettmuster, rechteckiger Zentralplatz), z. B. Pilsen und Budweis
  • Begünstigungen als Entschädigung für die harten Lebensbedingungen in den neuen Siedlungsgebieten (Grundstücke in neuen Städten, keine oder niedrigere Steuern für eine gewisse Zeit - "Frist" - "lhota" - häufiger Name für neugegründete Dörfer)

Es ist immer gut, konkrete Beispiele anzuführen, z. B. die neugegründeten Städte.)

Tschechen und Deutsche waren später beide der Überzeugung, das jeweilige Volk habe das Land aufgebaut und daher Ansprüche darauf.

(Ich verstehe, wie der Satz gemeint war, aber passen wir lieber auf bei verallgemeinernden Aussagen wie "Tschechen und Deutsche waren der Überzeugung, dass..." Wir sollten uns immer dessen bewusst werden, dass solche Aussagen nicht bei ALLEN Angehörigen der jeweiligen Gruppe zutreffen müssen. Besser also: "Ein erheblicher Teil der Tschechen und Deutsche" usw. Wichtiger ist jedoch das Argument mit dem "Aufbau". Ich glaube, es ging um mehr als das: der Anspruch an die Vorrangstellung im Land wurde auf die Behauptung zurückgeführt, dass die eine oder die andere Nation die "erste" im Land war, d. h. die ursprüngliche, d. h. der eigentliche "Inhaber" des Landes. Damit hängt natürlich aber auch das - reale oder fiktive - Verdienst um den Aufbau des Landes zusammen, so dass Sie eigentlich Recht haben.) 

In weiterer Folge führte der erstarkende Nationalismus auf beiden Seiten zu einer immer tieferen Spaltung zwischen Deutschen und Tschechen.

(Dies stimmt, allerdings wird dadurch das Problem der nationalistischen Verzerrung der Landesgeschichte nicht näher erklärt. Es wäre ein guter Einleitungssatz, aber es sollte ihm etwas konkreteres folgen.)

Bewertung:

  • Für den letzten Teil der Frage (wie die Kolonisierung von den nationalistischen Historikern reflektiert wurde) muss ich einen halben Punkt abziehen.
  • Es fehlen die Voraussetzungen (die Umstände in Böhmen und Mähren vor der Kol.), die Aufteilung der Kolonisierung in die innere und äußere, konkrete Fakten zum Ablauf der Kol., Beispiele neuer Städte, andererseits gibt es die annähernde zeitliche Zuordnung (samt Ottokars II.) und den deutschen Bevölkerungsanteil. 1 Punkt dafür.
  • Ein Bonuspunkt für das Magdeburger und schwäbische Stadtrecht.

2,5 Punkte